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Da muss sich wohl was ändern

So richtig viel gelesen habe ich seit meiner Rückkehr aus Bad Nauheim (das ist nun schon mehr als ein Viertel Jahr her) eigentlich nicht.
Jedenfalls kein Buch, sondern wenn, dann viel im Internet und da vor allem Nachrichten, Hintergrundinformationen dazu  und die (Technik-)Blogs, zu deren regelmässiger Leserschaft ich mich zähle. Selbst aus dem Fotoforum habe ich mich weitgehend zurück gezogen und überfliege allenfalls, was sich da neues tut.

-_-_-_-

Gut, einen Krimi hatte ich zwischendurch vor der Nase – nicht unspannend, aber doch eher banal und auch nicht wirklich berichtenswert und ein Sachbuch lese ich gerade,welches sich – oh Wunder – aber auch mit dem Thema beschäftigt, welches momentan die Welt bewegt:

Wobei ich dazu jetzt noch nicht wirklich viel schreiben kann, denn ich habe gerade erst damit angefangen, nachdem  einer der Herausgeber (Cordt Schnibben) letztens auf dem roten Sofa der Sendung DAS im NDR zu Gast war –  Ein Journalist, den ich allemal für glaubhafter halte als irgendwelche Auslassungen obskurer (Alternativ- oder Möchtegern-)Mediziner oder Vegan-Köche, die mit ihren halbgaren und teils gefährlichen Thesen und aluhutlastigen Theorien wenig sinnvolles zur Bewältigung der Pandemie beitragen, bzw.  sogar noch ihren Teil zur weiteren Verbreitung des Virus‘ beisteuern.

Wohltuend sachlich hingegen dieses von achtzehn bekannten Journalisten geschriebene Buch, nicht unkritisch auch den Massnahmen in unserem Land gegenüber und  den bisherigen Verlauf samt der uns allen bekannten Eiertänze der Politik und Dispute der Wissenschaftler aufgreifend und hinterfragend – jedenfalls, soweit ich bisher gelesen habe.
Dass es sehr gut lesbar geschrieben ist, kommt da noch dazu, so dass man beinahe von einem Lesegenuss sprechen könnte, wenn das Thema nicht so ernst wäre.

Deshalb an dieser Stelle gerne auch ein Link zum Buch, falls der jemanden interessiert. Ein Klick aufs Bild führt Euch ebenfalls dahin. *

-_-_-_-

Aber über dieses Buch wollte ich mich jetzt eigentlich nicht weiter auslassen, sondern mehr über das Thema, welches die Überschrift schon andeutet.
Denn so richtig zufrieden bin ich mit meiner aktuellen Leseunlust nicht, zumal ich noch nicht mal genau weiss, ob die nun nur daran liegt, dass ich irgendwie gerade nicht das „richtige“ Buch für mich finde – oder daran, dass die Themen „draussen in der Welt“ mich mehr beschäftigen, als mir eigentlich lieb ist.

Angelesen hatte ich jedenfalls in der Zwischenzeit einige Bücher, um jeweils nach ein paar Seiten festzustellen, dass sie dann doch nicht das gehalten haben, was ich mir davon versprochen hatte. Weshalb mir das Eintauchen in die virtuellen Welten der jeweiligen Autoren auch nicht so recht gelingen wollte und ich die Bücher  – im übertragen Sinne – schneller wieder zugeklappt hatte, als ich sie aufgemacht habe, so dass sie nun zu einem Leben als Dateileichen auf meinem Ebook-Reader verdammt sind…
Mit ein Grund übrigens, warum das Titelbild  des Buches von Klaus Hoffmann schon so lange das Widget in der  Seitenleiste zierte, obwohl ich mit dem Buch schon ewig „durch“ bin.
Ebenfalls ohne es zu Ende gelesen zu haben, weil mich daran buchstäblich nichts mehr gefesselt hat, als ich aus Bad Nauheim zurück war. Und das lag eindeutig am Tagesgeschehen – Corvid 19 genannt – und später am faszinierenden Meisenleben auf unserem Balkon und der Reise nach Helgoland.
Nicht, dass ich mich nicht bemüht hätte, das noch zu Ende zu lesen – aber so ganz passt es für mich halt gerade nicht in die Zeit.

Also:
Weg mit dem Bild – und vorübergehend auch mit dem Widget* – ,  jedenfalls solange, bis ich endlich  wieder ein schönes und fesselndes Stück Belletristik vor der Nase habe, das eine ausführliche Erwähnung in diesem Blog verdient

In diesem Sinne:
Bleibt gesund und bleibt behütet.
Wir lesen uns


*)Übrigens:
Das Buch ist auch als Hörbuch erschienen  und ungekürzt bei Spotify zu finden – falls jemand lieber hört als liest

**) Was im Übrigen auch für das Musik-Widget darunter gilt, denn musikalisch finde ich gerade auch nicht wirklich viel, was eine Vorstellung hier lohnen würde.
HipHop, Pop  und Techno ist nun mal nicht so wirklich meine Welt – und schöne Klassik-Neuvorstellung gibt es auch schon seit Monaten nicht mehr.


1413

„Ich sitze an meinem Schreibtisch, …“

einem spanischen Esstisch aus braunem Holz.
Mein Blick folgt den Linien und Kreisen seiner Maserung. Seit Tagen hängt das Vorhaben, mein bisheriges Leben aufzuschreiben, wie eine Wolke über unserem Haus. Mal kommt das Wettermännchen mit dem Regenschirm heraus, mal die nette Frau im Sommerkleid. Im Moment fühle ich mich wie früher als Schüler vor dem Verteilen der Aufgabenhefte für die bevorstehende Mathearbeit. Ich hoffte damals, das Glück käme und alles Erforderliche klärte sich von selbst, ohne dass ich etwas dazu tun müsste.
Leider war es nicht so, ich war ein schlechter Schüler.
Die Knef schrieb einmal in einem Lied: »Das Glück kennt nur Minuten.« Ich denke, sie hatte recht damit. „

Nun also zur Abwechslung mal wieder was autobiographisches, geschrieben von Klaus Hoffmann, den wir als  Liedermacher, Sänger  und Entertainer beide sehr schätzen und der in dieser Funktion auch schon mehrfach in unserern Blogs Erwähnung gefunden hat.
Inspiriert  zum lesesn dieses Buches wurde ich durch einen Satz, den die Liebste letztens schrieb, nachdem sie (leider) alleine auf der musikalischen Lesung in Harburg war:

„Die Autobiographie, die würde ich gerne mal lesen“

Was mir ja im Prinzip genauso ging, auch unter dem Aspekt, dass dieses Buch wohl sehr gut zu lesen sein könnte, wenn Herr Hoffmann nur halb so charmant schreibt, wie er auf der Bühne plaudert. Und diese Hoffnung hat mich nicht getrogen, wie ich nach den ersten beiden gelesenen Kapiteln jetzt schon sagen kann.

Als wenn es gar nichts wär

wird deshalb sicher auch ein Buch sein, dass ich (ähnlich) wie die letzten gelesenen Bücher sozusagen in einem Rutsch durchlesen werde, soweit mir das Programm hier Zeit dafür lässt – und den Rest dann auf der Rückfahrt im Zug 8-)

Der Klappentext:

„Seine Kindheit verbrachte Klaus Hoffmann im Nachkriegsberlin, seine Jugend war geprägt von der 68er-Zeit. Die ersten Schritte als Sänger wagte er in Berliner Szenekneipen. Er stellte sich vors Publikum und begann zu singen – als wenn es gar nichts wär. Für seine Rolle als Edgar Wibeau in der Plenzdorf-Verfilmung „Die neuen Leiden des jungen W.“ wurde Hoffmann gefeiert. Und doch ist immer die Musik seine große Leidenschaft geblieben.
Klaus Hoffmann erzählt von glücklichen und unglücklichen Lieben, von seiner engen Freundschaft zu Reinhard Mey, von seiner Begeisterung für die Lieder von Jacques Brel. Und er erzählt von der Suche nach den Spuren seines Vaters, der schon früh verstarb. Ein Buch über das Sich-Finden, übers Verlieren, Lieben, Verlieren und immer wieder von vorn.“


1344

„Deutsche Wochen?“

„Alexander hatte die Einladung spontan absagen wollen: vier Wochen Amerika? Aus allem herausgerissen werden, nicht mehr im Büchergang auf- und abschreiten, nicht im Garten den Frauen zusehen, wie sie sich über das Unkraut bücken; Harke und Hacke sind an die weiße Mauer gelehnt? Die rosa aufdämmernden Tage, die dunkelroten Sonnenuntergänge, die Silhouetten der Bäume vor den gefärbten Wolken – ausgreifend und verzweigt …
Einen Acht-Stunden-Flug ertragen über nachtdunklem Meer, eingeklemmt zwischen Rauchern und Tempotuchmenschen, von vorn Gestank in regelmäßigen Anblasungen und von hinten endloses Gerede? Dann:«drüben»von einer Stadt in die andere vagabundieren, beleuchtete Wasserfälle, nachgebaute Einwandererhütten, Bibliotheken, eine wie die andere, schlechte Hotels! – Und Tag für Tag Rede und Antwort stehen müssen für Dinge, die man nicht zu verantworten hat?
«Leugnen Sie auch den Holocaust?»“

Womit ich denn beim letzten Buch meiner Kempowski-Lesung angekommen wäre, und damit auch beim letzten Roman, den Walter Kempowski  vor seinem Tod veröffentlicht hat. Auch dieses Buch

Letzte Grüsse,

beschäftigt sich wieder mit dem Leben des fiktiven Autors Alexander Sowtschick, der in vielen Dingen deutliche Züge des Walter Kempowski trägt – und damit sicher auch wieder teilweise autobiographische Anteile in sich trägt. Was durchaus unterhaltsam zu lesen ist , nicht unspannend und  teilweise sogar wirklich komisch in seiner leicht satirisch überspitzenten  Erzählweise, genau wie der vorhergehende Band, den ich in gerade mal einer Woche „verschlungen“ habe, in Pausen zwischen den „Anwendungen“ oder Nachts, wenn ich mal wieder nicht schlafen konnte…

Wie immer gibt es auch noch den –  diesmal etwas nichtssagenden –  Klappentext :

„Alexander Sowtschick kommt mit seinem neuen Roman nicht so recht voran. Auch seine Ehe ist nicht mehr das, was sie mal war. Außerdem steht ihm eine Beleidigungsklage ins Haus und sein bevorstehender 70. Geburtstag löst zwiespältige Gefühle in ihm aus. Da kommt ihm die Einladung zu einer Lesereise durch Amerika gerade recht. Doch die Reise gestaltet sich nicht so, wie er es sich gewünscht hat. Über allem liegt eine gewisse Abschiedsstimmung, eine illusionslose Ironie. In diesem Roman setzt sich Walter Kempowski als, wie er sich selbst bezeichnet, „Unzeitgemäßer“ mit den Werten des „Alten Europa“ im Angesicht der „Neuen Welt“ auseinander.“
Und danach kommt dann mal wieder was ganz anderes auf den Reader 8-)

1335

„Alexander Sowtschick stand am Tor.“

„Er blickte seiner Frau nach. Soeben war Marianne in ihrem Golf die Pappelallee hinuntergefahren und war, von Dorfhunden verfolgt, im Staub der Straße verschwunden.

Den ganzen Vormittag über war im Haus herumgerannt worden. Türenschlagen, treppauf, treppab, dies noch vergessen, das. Nun war alles ausgestanden, nun war alles in Fluß: Marianne würde die Autobahn erreichen und mit größer werdender Geschwindigkeit dahinfahren, immer weiter, immer weiter, dem an langen Winterabenden erarbeiteten Urlaubsziel entgegen: Isle de Camps an der Atlantikküste, weiß Gott weit weg! Das Meer, nicht wahr? Die schäumenden Wogen und im nahen Städtchen ein Lokal, in dem es ungewöhnliche Leckereien zu essen geben würde.

In früheren Jahren waren die Eheleute gern gemeinsam gefahren. Italien, Spanien, Schottland. «Morgens eine, mittags zwei und abends drei Kirchen», wie sie scherzten. Sogar eine Kreuzfahrt hatten sie unternommen, in die Karibik, mit Bingo und Captain’s Dinner – doch ohne rechten Gewinn. Sowtschick war kein Urlaubsmensch.“

Natürlich kann ich auch während der Reha das Lesen nicht lassen
Und was liegt da näher, als noch ein Buch von Walter Kempowski zu lesen, der mich ja nun schon in den letzten Monaten durchgängig auf meinem Reader begleitet hat? Zumal es so etwas wie ein Sidekick des letzten Romanes ist, den ich auf der Herfahrt im Zug zu Ende gelesen hatte – und einige der handelnden Figuren aus „Heile Welt “ und der Örtlichkeiten  nun auch in diesem Buch wieder auftauchen, wenn auch zwanzig Jahre später, Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts.
Insbesondere der Schriftsteller Alexander Sowtschick, der Held des Romanes, der hier im Zentrum des Geschehens steht

Hundstage

Sowtschick, ein Schriftsteller, um die sechzig, lebt in der Lüneburger Heide?
… da liegt doch der Gedanke nahe, dass auch diese Figur wieder autobiographische Züge trägt und Parallelen zum Leben des echten Walter Kempowski zeigt, wenn auch der Inhalt des Buches wohl deutlich und erkennbar fiktiver ist, als im vorher gelesenen.
Was aber gleich geblieben ist, ist die liebevolle Zeichnung der handelnden Figuren – bisweilen ein wenig satirisch überspitzt – und auch die  Gedankengänge, Phantasiene  und inneren Zweifel, die der Autor mit ihnen verbindet .
Unterhaltsam allemal, weshalb der Lesegenuss wirklich gross ist, obwohl ich das Buch vor ewigen Zeiten schon einmal gelesen habe.

Der Klappentext:

„»Hundstage – irgendwann gibt es in jedem Sommer diesen Tag, von dem man weiß, dies ist der Sommertag an sich, an den werde ich noch lange denken. Für die Hitze, die über den Feldern steht, hat man das Wörtchen Glast erfunden, in dem schwingt etwas von Glut und von der Last heißer Tage.«
Der Schriftsteller Alexander Sowtschick wird diese Tage allein auf seinem schönen Anwesen im norddeutschen Flachland verbringen. Seine Ehefrau ist nach Frankreich aufgebrochen, ans Meer, wo sie eine Freundin treffen will. Sowtschick ist über diesen Umstand nicht unglücklich, kann er sich doch so ganz auf das Schreiben seines neuen Romans konzentrieren. Aber die geplante Idylle wird gründlich gestört, das geliebte Anwesen und seine Umgebung werden zum Schauplatz einer Kette von unvorhersehbaren Vorfällen – bis hin zu einem Mord. Unter dem Druck der äußeren und inneren Ereignisse nähert sich Alexander Sowtschick immer mehr den Abgründen der eigenen Seelenlandschaft.
Gefährliches, Unkontrollierbares bricht auf, und der Sommertraum endet in Chaos und Sprachlosigkeit.
Es ist Herbst.“


1328

„An einem kalten Apriltag des Jahres 1961….“

„…. hielt ein Schienenbus der«Kreuzthaler Kreisbahn AG»auf dem Bahnhof Kreuzthal. Der Wind pfiff über den Bahnsteig, auf dem zwischen zwei Reihen schiefgewachsener Rotdorne in Augenhöhe ein schwarz umrandetes Schild angebracht war:«Kreuzthal». Unter diesem Schild, mit Bindfaden festgebunden, hing ein Stück Pappe:«Achtung! Frisch gestrichen!»
Ein junger Mann stieg aus dem Schienenbus – linke Hand am linken Griff -, er faßte den sich aufblähenden Staubmantel mit der rechten und guckte sich um,«leicht amüsiert»: was das für ein Nest ist, in dem er hier gelandet ist…“

Eigentlich wollte ich ja jetzt endlich mal was anders lesen, aber dann hat es mich doch gereizt, zu erfahren, wie es nach dem Ende deutschen Chronik so weitergeht mit den Geschichten von Walter Kempowski.
Zumal ich dieses Buch auch noch nicht gelesen habe:

Heile Welt

kann man  durchaus  auch als einen autobiographischen Roman bezeichen, welcher da anknüpt, wo Kempowskis deutsche Chronik endet :
Verwendet es doch Motive  und (fiktive?) Erlebnisse aus seinem Leben als Lehrer in der niedersächsischen Provinz.
Wieder in Kollagenform – wie alle seine Bücher  – und diesmal angereichert mit vielen Anekdoten, die nichts mehr mit der Familie Kempowski zu tun haben, um die es sich ja in den vorher gelesenen Büchern  hauptsächlich ging. Deshalb wohl auch ein Stilwechsel –  Das Buch ist nicht mehr in Ich-Form geschrieben, sondern aus der Perspektive eines aussenstehenden Beobachters und mit Verwendung eines Pseudonyms für die eigene Person in der Handlung
Was dem Lesespass aber trotzdem keinen Abbruch tut :-)
Denn – wie ein erstes gelesenes Kapitel zeigt:
Walter Kempowski bleibt unverkennbar Walter Kempowski, auch wenn er in diesem Buch plötzlich als Matthias Jänicke («Ohne h, aber mit ck.») auftritt….

Der Klappentext:

„Ankunft auf dem Lande: Ein nicht mehr ganz junger Mann tritt in einem kleinen Heidedorf seine erste Lehrerstelle an. Das Landleben verläuft im gemächlichen Takt der frühen sechziger Jahre. Die idyllischen Impressionen, die der Lehrer empfängt, erweisen sich aber zunehmend als trügerisch. Unter der Oberfläche ist vieles anders, als es scheint. Kaum einer der Landbewohner (auch nicht der gefürchtete Landschulrat) hat eine ganz reine Weste, und der berühmte Maler – ein Naziopfer, wie erzählt wird – ist bei näherer Betrachtung alles andere als ein antifaschistischer Held. Die kleinen Skandale und Verfehlungen werden fein säuberlich unter der Decke gehalten. Die heile Welt ist alles andere als heil. Der Neuankömmling, ein später Nachfahre des Eichendorffschen Taugenichts, versucht sich in dieser Welt zu etablieren. Er bleibt aber ein Außenseiter im dörflichen Mikrokosmos, ein Kauz, der seine Zeit ein wenig ziellos zwischen täglichen Pflichten, der Jagd nach Antiquitäten und kleinen amourösen Abenteuern zubringt. Dabei käme es für ihn jetzt wirklich darauf an: Es ist bereits sein dritter Anlauf, eine bürgerliche Existenz zu gründen…“

Ich gehe dann mal weiterlesen und werde es geniessen :-)


1306

„Hamburg, das Tor zur Welt …. „

„…. – das Leben der Vorväter studieren und Kontakt aufnehmen zu den Lebenden. Sich einreihen in den lebendigen Strom: Vor sie hintreten und sagen: Ich bin wieder da. – Und angenommen werden von ihnen wie der verlorene Sohn.

Onkel Karl und Tante Hanni. Onkel Gustav in Bargfeld und im Staatsarchiv diverse Unterlagen: Daß man im Prinzip ja Hamburger ist, das geht daraus hervor, und daß man sich nicht zu verstecken braucht. In der Katharinenkirche sogar ein Epitaph, gestiftet vom Ahnherrn: Den würde man sich gelegentlich mal ansehen und man würde innewerden, daß das eine Logik hat, dies Zurückkehren in die Stadt der Väter.“

Da bin ich nun also an gekommen, zusammen mit Walter Kempowski in Hamburg und im sechsten und letzten Roman seiner deutschen Chronik, deren ersten Band ich Anfang Novemver aufgeschlagen habe:

Herzlich Willkommen

Und tatsächlich wird mir gerade bewusst, dass ich dieses Buch noch nicht gelesen habe, obschon ich es seinerzeit – noch in Papier  – im Bücherschrank stehen hatte.
Da kam halt immer was dazwischen, weil ich mir damals schon vorgenommen hatte, alle sechs Romane einmal hintereinander weg zu lesen, aber nie die Zeit dazu hatte, solange ich noch gearbeitet habe, bzw. es ja auch eine lange Phase gab, in der ich ja gar nicht gelesen habe und es andere Prioritäten gab.

Um so gespannter bin ich jetzt natürlich auf dieses Buch, dass bei allem Ernst seines Inhaltes auch sicher wieder genauso unterhaltsam werden wird wie die ersten fünf Bände des autobiographischen Romanzyklus um die Familie Kempowski, das mit dem Ende seiner Haftzeit beginnt und beschreibt, wie es der Familie und ihm Mitte der fünfziger Jahre in der noch jungen Bundesrepublik ergeht – umgegeben vom aufstrebenden Wirtschaftswunder und in ungewohnter Freiheit.

Der Klappentext:

„“Wird schon werden, da müssen wir eben durch“, sagt Mutter Grethe, als ihr Sohn Walter nach acht Jahren Haft aus dem Zuchthaus Bautzen zu ihr nach Hamburg zurückkehrt – ohne Ausbildung und Beruf, ohne Ziel und Geld. Dem in die Freiheit entlassenen Walter ergeht es wie vielen Deutschen, die aus dem Osten in den so begehrten Westen gelangt sind: Von den Menschen, mit denen sie es zu tun haben, nicht anerkannt, fühlen sie sich als Bürger zweiter Klasse. Walter jedoch kann warten. Er übt sich in Geduld, während um ihn herum sich die Räder des Wirtschaftswunders immer schneller drehen. Schließlich beginnt er an der Pädagogischen Hochschule in Göttingen seine Ausbildung. Ein ungewohnt sorgloses Studentenleben beginnt, doch die Jahre in Bautzen haben ihre Spuren hinterlassen. Immer wieder erliegt er Anfällen von Melancholie. Doch die Gabe der Ironie verhilft ihm dazu, die oft skurrilen Typen und Außenseiter lebensecht zu zeichnen. Währenddessen wächst die Familie wieder zusammen. Walters Bruder Robert kehrt ungebrochen aus der Haft zurück, und Walter findet endlich die Frau, die ihn versteht. So enden für ihn die Jahre des Suchens und des Übergangs….“

Ich bin dann mal weg, weiter lesen ;-)


1287

„Ich bin Margarethe Kempowski und berichte….“

„….hier von den Ereignissen des Jahres 1948 und danach.

Am Morgen des 8. März, so gegen halb sechs, wurde furchtbar an die Tür geklopft. Die Hauswartsfrau stand mit drei Männern draußen und sagte, ich solle schnell machen, es wär Paßkontrolle, die Herren wollten unsere Ausweise sehen.
Mir war das nicht verdächtig, denn von nächtlichen Ausweiskontrollen hatte ich schon öfter gehört. Wenige Tage vorher war zum Beispiel eine solche Kontrolle bei Frau Kapellmeister Reichwein in der Ludwigstraße gewesen, und im Grünen Weg war bei demselben Ereignis ein Mann am Herzschlag gestorben.
Ich sagte: »Bitte. Treten Sie näher«, und ließ sie herein. ….“

Nun also nimmt das Unheil seinen Lauf im fünften Teil von Walter Kempowskis „Deutscher Chronik“, der für mich der eindringlichste der sechsbändigen Reihe ist

Ein Kapitel für sich

Bei einem Besuch im heimatlichen Rostock wird er verhaftet und in der Folge als „Spion“ zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt (u.A. auch im „gelben Elend“ in Bautzen), nachdem er zuvor den Amerikanern in Wiesbaden Frachtbriefe übergeben hatte, in welchem die Reparationsleistungen an die Sowjetunion dokumentiert waren, die in Folge des verlorenen zweiten Weltkrieges geleistet werden mussten.
Auch seiner Mutter und seinem Bruder ergeht es nicht besser.
Sie geraten als „Mitwisser“ ebenfalls in Haft, weshalb Kempowski sie auch zu Wort kommen lässt und das Buch im Gegensatz zu den vorherigen drei unabhängige Handlungsstränge hat – ergänzt durch Zitate weiterer Personen, die ebenfalls in Konflikt mit den strengen Besatzungsbestimmungen der Russen geraten waren und deswegen inhaftiert wurden.
Was ein wenig  auch den Erzählstil vorwegnimmt, den Kempowski  u.A. im Echolot gewählt hat, ohne den sprachlichen Charme der  anderen Romane der deutschen Chronik zu verlieren, welcher den Tagebucheinträgen im Echolot völlig abgeht.

Der Klappentext:

„Acht Jahre verbrachte der Ich-Erzähler Walter im Zuchthaus in Bautzen, und das alles wegen ein paar Frachtbriefen, mit denen er den Amerikanern die Ausplünderung der „Zone“ durch die Russen demonstrieren wollte. Bei einem Besuch der Familie in Rostock wurde er festgenommen. Spionage hieß die Anklage. Neben Walter wurde Bruder Robert verhaftet und schliesslich sogar die Mutter. Mutter und Söhne machen mit Haft und Häftlingen ihre ganz eigenen Erfahrungen, und so erzählt jeder kapitelweise aus seiner Perspektive und in seiner Ausdrucksweise, was ihm in der Welt der Eingeschlossenen widerfahren ist. Diese Zeit war in der Ausdrucksweise der Familie „Ein Kapitel für sich“.“


1274

„Wenn ich mich etwas vorbeugte, ….“

“ …. konnte ich vom Schlafzimmerfenster aus alles gut überblicken. Drogerie Kotelmann, Schlachter Timm. Seifenheimchen schloß das Fenster.

Gegenüber die Paulstraße, die machte hinten einen Knick: bis dahin war das Feuer gedrungen, bei der »Katastrophe«, wie die Leute die Angriffe von 1942 nannten. Vor der Katastrophe und nach der Katastrophe. Jetzt würde es vor und nach dem Zusammenbruch heißen.

Bis zu Bäcker Kofahl hatte es sich gefressen. »O watt Löckers«, hatte der alte Kofahl gesagt, in seiner kleinkarierten Bäckerbüx. »All dat Mähl …«“

Nun geht es also weiter mit dem vierten Teil von Walter Kempowskis „deutscher Chronik“ , der da beginnt, wo der dritte endet. Am 1. Mai 1945, dem Tag, an dem die Russische Armee in Rostock einmarschiert ist und die Stadt von den Nazis befreit hat. Und so geht es zu Beginn von

Uns geht’s  ja noch gold

natürlich auch um die ersten Tage und Wochen nach dem Krieg und weiter mit  einer Flucht in den Westen und der Vorgeschichte zum grossen Thema des fünften Bandes, Kempowskis Haftzeit in der neu gegründeten DDR, nachdem sein Bruder und er Frachtunterlagen über Reparationsleistungen an die Sowjetunion an die Amerikaner weitergeleitet hatten.
Wie immer recht unterhaltsam und humorvoll beschrieben und nicht ohne kleine Spitzen gegen die Menschen, die im Buch vorkommen.

Der Klappentext, diesmal etwas treffender als beim letzte Buch:

„Wo Walter Kempowskis Buch „Tadellöser & Wolff“ endet, beginnt dieser „Roman einer Familie“: 1945, als die Rote Armee in Rostock eindringt. So „gold“ kann es den Kempowskis, wie der Titel im Familienjargon ankündigt, also gar nicht gegangen sein. Man erlebt am eigenen Leibe oder bei Nachbarn und Freunden Elend, Hunger, Plünderungen und Gewalttätigkeiten. Aber man ist nicht ausgebombt, hat noch etwas Geld, und zwischen Trümmerschutt und Ausgangssperren, Schwarzmarkt und Hamsterzügen versucht man, die bürgerliche Kontinuität wiederherzustellen.“


1269

„Morgens hatten wir noch ….“

„….  in der alten Wohnung auf grauen Packerkisten gehockt und Kaffee getrunken (gehört das uns, was da drin ist?). Helle Felder auf den nachgedunkelten Tapeten. Und der große Ofen, wie der damals explodierte.
Zu Mittag sollte schon in der neuen Wohnung gegessen werden.
Die Zimmerpalme wurde dem Gärtner geschenkt, die würde man nicht mehr stellen können. Wunderbar, wie die sich in all den Jahren entwickelt hatte. Den gelben Onkel nahm man mit, mit dem gab es ab und zu »hau-hau«! Schön würde es werden in der neuen Wohnung, herrlich. Wir sollten sehn: zauberhaft. Vom Balkon eine Aussicht – wonnig. Und keine Öfen zu heizen, das war auch was wert.
Als ich aus der Schule kam, sah ich schon von weitem den ausgepolsterten Möbelwagen, die Pferde mit rostroten Planen über dem Rücken und Messingschildern am Zaum…..“

Mit diesen Worten beginnt der dritte Teil von Walter Kempowskis „Deutscher Chronik“, das Buch, das als erstes der Reihe erschien und mit dessen Verfilmung Kempowski in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Bundesrepublik bekannt wurde – begleitet von einem Feature über Rostock, dass unmittelbar vor dem ersten Teil des Filmes  am 1. Mai 1975 ausgestrahlt wurde.

Tadellöser & Wolff

wurde damals ein grosser Erfolg sowohl für den Regisseur, dem es gelungen war, Kempowskis Schreibstil fast  eins zu eins auch in die Bildersprache des Filmes einzubringen, als auch für den Autor selbst.
Und ich gestehe, auch auf mich, den damals sechzehnjährigen, hatten dieser Film und auch das einen Tag später erworbene Buch  eine nachhaltige Wirkung. Schilderten sie doch den Alltag im dritten Reich  aus der Sicht eines Kindes und Jugendlichen und beantwortete sie einige der Fragen, die ich damals zu stellen begann.
„Wie war das damals?“ – das war eine Frage, zu der ich von meinen Eltern oder im Verwandtenkreis nur wenige und lückenhafte Antworten bekam. Wie wohl viele Jugendliche meiner Generation.  Kempowskis Bücher jedoch gaben Antworten auf genau diese Frage – noch dazu in einer wirklich witzigen und humorvollen Sprache! Und so begann mit der ersten gelesenen Seite diese Buches auch meine Leidenschaft für diesen Autor, dessen Bücher ich inzwischen alle mehrfach gelesen habe – und immer wieder gerne lese.

Der Vollständigkeit halber noch der sehr knapp gehaltene  Klappentext der aktuellen Taschenbuchausgabe, den man sich und dem Buch  eigentlich hätte ersparen können:

„»Tadellöser & Wolff« nannte Walter Kempowskis Vater, Reeder in Rostock und guter Kunde der Tabakwarenhandlung Loeser & Wolff, so ziemlich alles, was nicht gerade »Miesnitzdörfer & Jenssen« war. Und als »Miesnitzdörfer« ließ sich in der Zeit von 1938 bis 1945, von der dieser Roman erzählt, wahrhaftig vieles bezeichnen.“

Gut, dass das Buch selbst um Welten besser ist :-)


1248

„Die Borwinstraße in Rostock ….“

.“…hat ihren Namen von Burwin II., einem Wendenfürsten. Im 13. Jahrhundert sorgte er dafür, daß »Rostock viele ansehnliche Gebäude erhielt«, wie in einer Chronik steht. Die Borwinstraße ist allerdings keinesfalls ansehnlich, sie ist eine sogenannte Arbeiterstraße und liegt in der Werftgegend. Sie grenzt an die Niklotstraße, die auch nach einem Wendenfürsten benannt wurde, nach Niklot dem Kind. In ihr wohnen ebenfalls Arbeiter, die tagsüber in der Werft hämmern und sägen, was zu hören ist; Arbeiter, Handwerker und kleine Gewerbetreibende.

In diesem Stadtteil sind die Häuser durchweg viergeschossig und wie mit Lehm verstrichen, ganz ohne jeden Schmuck. Eins ist wie das andere: Straßenbäume decken die Armseligkeit…“

Nachdem es mit dem ersten Teil der Deutschen Chronik von Walter Kempowski  ganz gut ging mit dem Wiedereinstieg ins Lesen, mache ich mich nun quasi nahtlos an den zweiten Roman der Reihe, der in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts beginnt und die ersten Ehejahre von Karl und Grete Kempowski zum Thema hat:

Schöne Ausicht

Der Klappentext:

Karl Kempowski und seine junge Frau Grethe lernen sich 1913 in der Sommerfrische an der Ostsee kennen. Ihr junges Glück wird vom Ersten Weltkrieg jäh unterbrochen. Doch sie haben Glück – Karl überlebt seinen Einsatz an der Front. Doch auch nach dem Ende des Kriegs haben die beiden keinen leichten Start in Rostock. Sie müssen auf bürgerliche Villenvornehmheit verzichten und sich im Arbeiterviertel einmieten; der kleinen väterlichen Reederei setzt die wirtschaftliche Depression schwer zu. Drei Kinder werden geboren, unter ihnen auch der Autor; ihre Schulzeit fällt in die Jahre, in denen Deutschlands Verhängnis seinen Anfang nimmt. Von dieser Familie und allen, die ihren Weg kreuzen, erzählt Walter Kempowski mit der Genauigkeit, dem Humor und der leichten Ironie, wie sie nur ihm eigen sind.

Das kurzweilige Lesevergnügen wird also weitergehen :-)


1209

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