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Frustkauf

Lange her, dass sowas nötig war – sehr lange!
Denn normalerweise brauche ich diese Ansammlung von Zucker, Fetten,  Aromastoffen  und unendlich vielen Kalorien nicht. Im Gegenteil, eigentlich finde ich sie viel zu süss, zu klebrig und überhaupt.
Aber heute war das mal nötig, auch wenn die Schokolade jetzt noch auf dem Scanner liegt und ich überhaupt keinen Hunger darauf habe.

Und dass hat diesmal ausnahmweise nichts mit der AfD  oder dem Hamburger Verkehrschaos zu tun – auch  nichts damit, dass es gerade mal wieder extrem lange Arbeitstage sind, die es zu bewältigen gibt, nicht mal mit dem eigentlichen Inhalt meiner Arbeit oder irgendwelchen Kunden, sondern mit einem „Nebenschauplatz“, der leider gerade auch zu meinen täglichen Aufgaben gehört und viel mehr Zeit und Energie in Anspruch nimmt, als ihm unter normalen Umständen gebühren würde.

Schuld daran ist ein Azubi, der gerade an meinen Rockschössen hängt und mich schier in die Verzweiflung treibt:
25 Jahre alt, schon zwei abgebrochene Ausbildungen in anderen Berufen  und diverse Gelegenheitsjobs hinter sich habend, erweist er sich mehr weniger als grosses Kind, als Riesenbaby, dem beinahe alles fehlt, was unseren Beruf ausmacht – die Fähigkeit zu länger anhaltender Konzentration, planvolles Handeln, handwerkliche Fähigkeiten, sich selbst zurück nehmen können, Empathie und noch so einiges mehr.
Stattdessen palavert er munter drauf los, sowohl bei unseren Kunden als auch auf den Wegen dazwischen, hört kaum zu, drängt sich in den Vordergrund und hat mir mit seinem unreifen, vorlauten Verhalten inzwischen mehr als einmal mühsam aufgebaute Pflege-Situationen  bei dementen Kunden torpediert, so dass die anliegenden Aufgaben fast nicht durchgeführt werden konnten.
Dazu kommt auch noch, dass ich ihm fast jede Tätigkeit jeden Tag aufs Neue erklären kann, weil er allenfalls die Hälfte der letzten Erklärung behalten hat  und die dann auch noch falsch umsetzt.

Daran ist auch die Kollegin schon verzweifelt, mit der ich mir die Praxisanleitung teile und die als alleinerziehende Mutter einen pupertierenden Tochter über wirklich gute pädagogische Fähigkeiten verfügt.
Ihr Fazit der letzten Wochen war, das da wohl Hopfen und Malz verloren ist und es schade um jede Minute sei, die wir da noch investieren.

Denn dieser Azubi steht im krassen Gegensatz zu dem, was wir sonst mit unseren Auszubildenden erleben: Die sind meisstens sehr lernbegierig, freuen sich darüber, über Wochen hinweg kontinuierlich angeleitet zu werden (eine Besonderheit, die wenige Pratikumsplätze bieten), und stellen mit ihren Fragen unser Handeln auch gelegentlich in Frage  –  was aber sehr gut ist, weil wir so gezwungen sind, uns auch mit eingeschliffenen Routinen gedanklich neu auseinandersetzen zu müssen – und darüber oft  auch neue Ideen finden, wie sich die eine oder andere Tätigkeit besser gestalten liesse…
Dazu laufen sie permanet bei ihren Praxisanleitern mit, bekommen jede Tätigkeit gezeigt und erklärt und im Lauf des Praktikums die Gelegenheit diese eigenständig unter Anleitung durchzuführen, bis sie sie sicher beherrschen.
Ein Geben und Nehmen also, das auch sehr viel Spass machen kann, selbst wenn es uns Praxisanleiter zusätzlich fordert und gelegentlich auch die Extra-Zeit kostet, die für eine gute Praxisanleitung nötig ist-  Zeit, die wir gerne geben,  weil sie gleichzeitig auch den Nebeneffekt hat, guten Nachwuchs für unsere Firma zu finden…

Insofern stellt mich dieser Junge wirklich vor ein Rätsel, eben weil sein Verhalten so ganz anders ist.

Natürlich habe ich in einer ganzen Reihe von  Gesprächen versucht, auf sein  Verhalten einzuwirken, ohne jedoch mehr als nur vorübergehend eine kleine Besserung zu erreichen.
Zumal ein wirkliches Interesse an unserem Beruf anscheinend auch nicht besteht – und er vor ein paar Monaten die Ausbildung zum Gesundheits-und-Pflege-Assistenten wohl nur begonnen hat, weil er dafür eine Förderung vom Arbeitsamt bekommt und ihm irgendjemand das Gerücht auf die Nase gebunden hat, damit könne man nach bestandenem Examen die Mördermark verdienen und sich die Arbeitsstelle nach Lust und Laune aussuchen.
Am Besten in eine Kurklinik an der Ostsee, so sein Ziel – oder noch Besser:  irgendwo in die Psychiatrie, denn da müsse man ja auch nur Pillen verteilen, so habe er gehört…
Allerdings war bei diesen Gesprächen von schwerer körperlicher Arbeit und der notwendigen Portion Pflichtbewusstsein möglicherweise nicht die Rede…. denn Beides geht im völlig ab.

Insofern kann von „entspanntem Arbeiten“ in den letzten Tagen nicht die Rede sein.
Habe ich doch neben den üblichen Arbeiten bei meinen Kunden und den erfolglosen Versuchen einer Praxisanleitung fast permanent auch die Aufgabe, auf diesen Knaben aufzupassen und die groben Schnitzer wieder gerade zu bügeln, die er in seiner Tolpatschigkeit begeht.
Dazu noch die immer wieder kehrenden Gespräche mit ihm auf den Fahrten vom Kunden zum Kunden, die viel Konzentration von mir erfordern und mir kaum Gelegenheit lassen, mich selbst auf den nächsten Kunden einzustellen – was aber wichtig wäre, um dort konzentriert, kunden-, qualitätsorientiert und vor allem zielgerichtet arbeiten zu können.
Von „Mitlaufen“ kann also keinesfalls mehr die Rede sein, eher von einem Zeit und Energie fressenden Nebenjob als Babysitter für mich, der fast mehr Aufmerksamkeit erfordert als meine eigentliche Arbeit – die gute Versorgung meiner Kunden.

Echt anstrengend das…..Frustkauf2Womit die oben abgebildete Nervennahrung auch ihrer Rechtfertigung gefunden hat.

Und wünschenwert, dass uns Auszubildende dieser Güte nicht noch öfter begegnen.

Denn leider steht zu befürchten, dass gerade private Träger von Pflegeschulen jetzt alles einstellen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.
Persönliche Qualifikation hin oder her.

Da tut sich nämlich gerade ein boomender Markt auf, mit dem sich viel Geld verdienen lässt, wo doch der Pflegenotstand in aller Munde ist und unser Gesundheitsminister tausende von neuen Pflegekräften in Aussicht gestellt hat…..
Bei dem Gedanken wird mir gerade etwas bange, denn weit bin ich selbst altersmässig ja auch nicht mehr davon entfernt, zum Klienten  von Kollegen werden zu können, die unter dieser Prämisse ausgebildet wurden  und diesen den Job nur machen wollen, weil sich gerade nichts anderes bietet.
Ohne Liebe zum Beruf und ohne das Herzblut, das gute Pflege braucht.

10 Replies to “Frustkauf”

    1. Seltsam ist schon ein passendes Wort.
      Denn bei dem Knaben erschliesst sich wirklich nicht, welche Morivation ausser der Förderung des Arbeitsamtes ihn treibt, eine Ausbildung in einem Beruf zu machen, für den er so offensichtlich ungeignet ist.

  1. Ich habe sicherheitshalber schon mal mit Jenni vereinbart, dass sie mich, sollte es soweit kommen, auf einer Eisscholle aussieht. Pflegekräfte wie du, sind rar gesägt, hier im Haus eine zeitlang eine gewohnt. Bei der Vorstellung so einem Kaliber ausgeliefert zu sein, wenn ich mich nicht mehr richtig wehren kann … da habe ich mit Jenni obige Vereinbarung getroffen.

    1. Danke fürs Kompliment.
      So rar sind wir gar nicht – aber wohl einen aussterbende Gattung.
      Wobei mir ein wenig Hoffnung macht, dass der Grossteils der Azubis mit denen ich zu tun habe doch anders tickt als dieser Knabe.

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