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Nowe Laski

.Ein kleines Dorf im heutigen Polen, das zur „deutschen Zeit“ noch Neu Laatzig hiess.
So lange, bis die „Arier“(danke Erwin Strittmatter für  diese Umschreibung) ihre Veränderung der Welt so ganz anders abgeschlossen hatten, als das in ihren kühnsten Träumen erwartet haben.

Ich war noch nie in diesem Dorf, und doch steht da ein Haus, in dem ein Teil meiner Wurzeln liegt. Dieses Haus kenne ich, seit ich denken kann, denn im Zimmer meines Grossvaters und später im Wohnzimmer meiner Eltern hing ein Bild davon, das so ähnlich aussah wie dieses:

Eine verwaschene Federzeichnung nach einem alten, winzigen Schwarz-Weiss-Bild, flankiert von einer gerahmten, etwas pathetischen Spruchkarte mit dem Text:

Die Sehnsucht nach der Heimat bleibt

Bild und Text gehörten zusammen, sie wurden auch nach jedem Umzug meiner Eltern  wieder genau so aufgehängt.

Wie gesagt, ich war nie in Nowe Laski, aber ich kenne viele Geschichten aus diesem Haus, dem Haus, dass mein Grossvater  Karl gebaut hat – über den ich hier im alten Blog schon mal geschrieben hatte.

Ich weiss, wer wo gewohnt hat in diesem Haus –  meine Mutter in dem Dachzimmer, das früher keinen Balkon hatte, ihre Brüder nach hinten raus zum Hof neben der Küche, mein Grossvater hinter den zwei Fenstern links des Flures – und gegenüber  der Raum mit den drei Fenstern,  der erst die gute Stube und später sein Büro war, als er Bürgermeister wurde.
Hinter dem Haus war der Hof mit Ställen, Misthaufen (mit Plumpsklo) und die Scheune – und links daneben die Dorfschule, dahinter der Wirtschaftsgarten meines Grossvaters.
Ihr seht, ich kenne mich aus.

Auf dem Bild, so wie ich es in Erinnerung habe standen vor dem Haus noch vier Linden, dafür gab es aber weder den Zaun, noch den Balkon und schon gar nicht die Satelliten-Schüsseln. Der Stern im Giebel war allerdings schon da, als Glücksbringer schon bei Bau des Hauses angebracht.

Und noch etwas war anders auf der Zeichnung:
Aus dem ersten Fenster links der Haustür sah eine Person heraus, auf der Zeichnung nicht zu erkennen, aber mir wurde erzählt, das sei meine Grossmutter Olga gewesen, die schon lange vor Krieg und Flucht gestorben ist und heute noch in Nowe Laski begraben liegt.

Überhaupt wurden mir und meinen Brüdern – als Kindern –  viele Geschichten aus diesem Haus und aus dem Dorf erzählt, denn mein Grossvater lebte ja bei uns und er hielt so ein Stück weit wohl das Andenken an seine alte Heimat  lebendig.

Nowe Laski wurde so zum Teil meiner Kindheit und zur Erinnerung an einen Ort, an dem ich nie gewesen bin.
Ein Ort, der mystisch war, geheimnisvoll, manchmal unheimlich – und immer unerreichbar. Damals (noch vor den Polenverträgen von 1970) wäre es ja auch unmöglich gewesen, als Westdeutscher in ein polnisches Dorf zu fahren – und ausserdem waren wir Kinder ohnehin zu klein für solche Expeditionen. Aber Pommern, das war für uns das Märchenland, das Paradies, wo die Welt immer in Ordnung war, wo mein Grossvater der Gute – und die, die ihm das genommen hatten die Bösen waren.

Das dem nicht so war, habe ich erst viel später begriffen – zum einen, als ich als fast Zwanzigjähriger begann, mich intensiv mit den Arieren und ihrer Diktatur auseinander zu setzen (und mit der Rolle, die mein Grossvater in dem System gespielt hatte. Ein kleines Licht zwar, aber er hat aktiv mitgemacht), zum anderen, als ein Onkel Ende der 70er Jahre das erste Mal wieder in der „alten Heimat“ war und uns anhand vieler Photos beweisen wollte, wie sehr die neuen Besitzer das alles hätten verlottern lassen. Denn das, was auf diesen blassen Farbbildern zu sehen war, eine verrotte Scheune, riiesige Schlaglöcher auf den Sandwegen, Fensterahmen ohne Farbe und und und, das passte natürlich alles nicht mit dem kindlichen Bild eines Märchenlandes zusammen, das ich immer noch in mir trug.

Das Märchenland wurde also entzaubert – und trotzdem ist es noch da als Teil meiner Kindheit, als reale Erinnerung.
Und geblieben ist auch die Sehnsucht nach diesem Ort……. der ein Stück Heimat für mich ist, so wie ich als Kind von ihm erzählt bekommen habe – Obwohl mein Kopf mir immer wieder sagt, dass es ihn in der Realität nicht gibt, ihn nicht (mehr) geben kann.

Meine Eltern sind dann später einige Male in Polen gewesen und haben dabei auch Nowe Laski (eine Mutter sagt dazu immer noch Neu Laatzig) besucht, den Heimatort meiner Mutter, zuletzt vor etwa 12 Jahren – und es war zumindest auch mal angedacht, das ich ein letztes Mal mit ihnen zusammen dahin fahren würde, als Chauffeur, weil mein Vater damals schon nicht mehr bei guter Gesundheit war. (der übrigens irgendwann plötzlich davon sprach, dass dieser Ort für ein auch ein Stück Heimat geworden ist) Aber diese Überlegungen haben sich durch meinen Unfall und später den Tod meines Vaters zerschlagen.

Mein „Märchenland“, daran habe ich seither immer wieder denken müssen, und irgendwann war  die Sehnsucht nach dem unbekannten Ort auch Anlass, per Google zu versuchen, etwas mehr zu erfahren, mir vielleicht einen besseren Eindruck zu machen:

Zu meinem Erstaunen konnte ich da  per Streetview den Ort erkunden, konnte virtuell die Dorfstrasse entlang  gehen und sogar vor  dem Haus meins Grossvaters stehen, in dem meine Mutter geboren wurde:Ein bisschen schief und krumm durch Googles Grafik-Engine, aber unverkennbar das selbe Haus, dass ich von der Federzeichnung kannte – und keinesfalls „verlottert“ oder ungepflegt.
Und wieder fielen mir  die Geschichten ein, die ich vor langer Zeit erzählt bekommen habe – und die meine Mutter in ihrer Demenz wieder und wieder durchlebt.

So war plötzlich  auch der Gedanke wieder da, mich doch mal auf den Weg zu diesem Sehnsuchtsort zu machen, denn selbst von Hamburg aus ist das ja machbar:
Auch als die Liebste und ich Ende März  in Stettin waren, kam diese Überlegung wieder hoch – von Berlin aus ist die Distanz nach Westpommern ja auch deutlich geringer.
Aber, ob sich das jetzt in der kurzen Zeit noch realisieren lässt, bis das Berliner Intermezzo beendet sein wird, bleibt fraglich.

Trotzdem: Irgendwann werde ich mich auf den Weg machen, denn gerade ist der Gedanke aufs Neue befeuert worden durch ein Buch, das ich eben gelesen habe – und dessen erste Sätze mich in dem bestätigen, was ich schon seit langer Zeit auch fühle:

„Mein Leben fühlt sich an wie ,ins Unreine‘ geschrieben.
Vergleichbar einem Text, der noch der Korrektur bedarf.“

Ich werde das Gefühl nicht los, das ich auch diesen Teil meiner Wurzeln noch entdecken muss, damit aus meinen Märchland-Erinnerungen Reale werden können  – und vielleicht auch, um damit abzuschliessen.

4 Replies to “Nowe Laski”

  1. Ach ja, die Geschichten aus der „richtigen Heimat“ kenne ich auch gut. Die Familie väterlicherseits kam aus Stettin. Für mich war Stettin in meiner Kindheit ein sehr abstrakter Ort. Tante Klärchen schien so in der neuen Heimat verwurzelt, dass ich mir nie vorstellen konnte, dass sie jemals woanders gelebt hatte, obwohl sie immer mit ostpreußischen Zungenschlag sprach. Als B. Bilder von Stettin im B. I. Blog zeigte, bekam ich Sehnsucht danach Stettin zu erkunden. Vielleicht gehört es wirklich dazu.

    1. Mir ist das schon sehr lange ein Bedürfnis.
      Denn ich möchte die Atmosphäre spüren, die da in Pommern herrscht, damit ich auch reale Wahrnehmungen davon habe-

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